Leseprobe aus
Irene Dalichow: Die Gewürzapotheke
Einleitung
Ob es heiß und scharf macht oder nur wärmt und anregt, hat damit zu tun, welches Gewürz man zu sich nimmt und wie viel davon. Und nicht umsonst besitzen die Adjektive "heiß" und "scharf", hot and spicy, eine Doppelbedeutung - Gewürze bringen Leben in die Bude: Welch ein Unterschied besteht zwischen einem mit Ei belegten Butterbrot einfach so oder aufgepeppt mit etwas Senf; einem Gemüseeintopf oder dem gleichen Gemüse, mit wenig Mehraufwand zu einem Curry verarbeitet; einem Bratapfel ohne oder mit Zimt...
In früheren Zeiten gehörten Spezereien denn auch zum Kostbarsten, das die Menschen kannten. Die meisten wuchsen in fernen Ländern wie in Indien, sie wurden unter größten Mühen mit dem Schiff nach Venedig und von dort aus mit Körben auf dem Rücken von Händlern über die Alpen zu uns transportiert. So waren sie extrem teuer, und es umwehte sie das Flair von Exotik. In den mittelalterlichen Klosterapotheken wurden Gewürze für allerhand originelle und köstliche Liköre und Backwaren verwendet, aber man setzte sie auch ein, um Krankheiten zu bekämpfen.
Hildegard von Bingen, die berühmte Benediktinerin und Ärztin, die von 1098 bis 1179 lebte, schreibt beispielsweise über den Zimt, er sei warm und habe starke Kräfte. Sie empfiehlt ihn Gichtkranken und Menschen, denen "der Kopf schwer und stumpf" ist.
In der traditionellen indischen Heilkunst, dem Ayurveda, spielen Gewürze seit jeher eine wesentliche Rolle, innerlich, äußerlich und als ätherisches Öl verwendet. Früher mussten sich die Menschen überall auf der Welt auf natürliche Heilmethoden und -mittel verlassen. Pflanzenmedizin war dabei eine tragende Säule.
Heute haben wir eine globale Gesellschaft. In den Restaurants der Großstädte stehen Gerichte aus aller Herren Länder auf der Speisekarte, und von kreativen Hobbyköchen werden sie zu Hause nachgekocht. Gewürze von bester Qualität, das heißt frisch und ungespritzt, kann man zu vernünftigen Preisen im Reformhaus, Naturkostladen, Spezialgeschäft oder auf dem Markt kaufen. Und je mehr Menschen aus dem Ausland bei uns leben und Freunde finden, umso mehr schwinden die Berührungsängste vor fremden Aromen. Wenn in den sechziger, siebziger Jahren für deutsche Hausfrauen Lorbeerblätter und Kümmel noch das höchste der Gefühle bedeuteten, so wird heute bereits in vielen Haushalten mit Cayennepfeffer, Kurkuma und individuell gemixten Currypulvern gekocht.
Der bekannte Münchner Sternekoch und Kochbuchautor Alfons Schuhbeck sagte einmal in einem Fernsehinterview, er lege größten Wert auf Gewürze. Er bringe sie den Menschen nahe, die bei ihm das Kochen lernen oder seine Restaurants besuchen. Nicht nur wegen ihrer geschmacksverfeinernden Effekte liebe er Gewürze, sondern auch wegen ihrer gesundheitlichen Wirkungen, zum Beispiel auf die Verdauung. Er bemerke eine große und immer weiter wachsende Aufgeschlossenheit dafür. Die Menschen könnten derzeit gar nicht genug darüber erfahren.
Tatsächlich bringen nicht nur Fachmagazine, sondern auch Publikums- und Frauenzeitschriften oder Tageszeitungen Artikel über das Thema. So veröffentlichte zum Beispiel die Zeitung Die Welt am 19.11.2005 unter der Überschrift "Scharfe Bodyguards" einen Beitrag, in dem unter anderem Kurkuma/ Gelbwurz, Cayennepfeffer und Bockshornkleesamen als Gesundmacher herausgestellt wurden.
In der Ausgabe 2/2006 der Zeitschrift Bunte sagte der Münchner Immunologe Dr. Peter Schleicher, ein Spezialist für die Stärkung der körpereigenen Abwehrkräfte, scharfe Gewürze wie Zimt, Nelken und Wacholder unterstützten die Abwehr optimal. Auf die Frage, warum so viele Ärzte und medizinische Laien auf die Heilkräfte von Pflanzen und auf andere Hausmittel vertrauen, antwortete er, dass viele dieser Mittel wissenschaftlich hervorragend untersucht seien. Und: "Heute weiß man, dass medikamentöse Therapien leider auch unerwünschte Nebenwirkungen haben und das Immunsystem schwächen können. Deshalb empfehlen auch viele Ärzte beispielsweise bei einer Erkältung zunächst natürliche Methoden, die dem Körper helfen, mit der Infektion selbst fertig zu werden. Denn können Infekte ohne Antibiotika ausheilen, werden die Abwehrkräfte enorm gestärkt. Man ist meist lebenslang vor Keimen, die man einmal erfolgreich bekämpft hat, geschützt, weil der Organismus Antikörper dagegen gebildet hat."
Gewürze sind also das Salz in der Suppe (wobei Salz aber streng genommen gar kein Gewürz ist, denn es stammt aus dem Mineralreich; Gewürze haben immer einen pflanzlichen Ursprung).
Ich habe schon immer raffiniert gewürzte Speisen geliebt, zum Beispiel das mit Wacholderbeeren verfeinerte Sauerkraut meiner Mutter. Auf Reisen ins Ausland lernte ich scharfe Leckereien kennen wie Gemüsecurry, Gewürztee oder mit Muskat aromatisierten amerikanischen Weihnachtspunsch.
Mit den Jahren vertrage ich Geschmacksverstärker und andere chemische Zusatzstoffe immer weniger. Auch auf Medikamente, aus der Apotheke reagiert mein Körper zunehmend empfindlich, was mir die verstärkte Verwendung natürlicher Aromatisierer und Keimtöter nahe legte. Auf diese Weise erwachte über die Lust am Wohlgeschmack und die Liebe zu meiner physischen Wohnstatt immer mehr das Interesse an Gewürzen.
Es geht in diesem Buch daher um den Spaß und die Vielfalt, die Gewürze in verschiedenste Lebensbereiche hineinbringen können. Dazu gibt es zahlreiche Informationen, Tipps und Rezepte. Vor allem aber geht es um ihre segensreichen und tief greifenden Wirkungen auf das körperliche und seelische Wohlbefinden, und zwar nicht allein, wenn man sie isst und trinkt, sondern ebenso, wenn man sie in Form von ätherischem Öl oder "verräuchert", also langsam auf Kohle verglüht, über den Geruchssinn aufnimmt. Das Buch beschäftigt sich also nicht nur mit einem oder wenigen Aspekten, zum Beispiel dem kulinarischen oder botanischen, vielmehr beleuchtet es eine möglichst große Bandbreite an wissenswerten Fakten zu diesem interessanten Thema.
So hoffe ich, dass Ihnen das Schmökern sowie das Nachschlagen darin genauso viel Freude machen wie mir das Zusammentragen und Zu-Papier-Bringen von hilfreichen und faszinierenden Informationen - und dass Ihnen die Umsetzung in die Praxis von Nutzen sein möge.
In diesem Sinne schicke ich Ihnen würzige Grüße aus München,
Irene Dalichow
Im Herbst 2006
Mit Gewürzen durch Zeit und Raum
Eine alte arabische Legende erzählt, Zimt stamme von den Vögeln, die in ihren Nestern Zimtstangen gehortet hätten. Eine faszinierende Vorstellung, dass die Tiere des Himmels uns dieses kostbare Geschenk gemacht haben könnten!
Manche Tiere wissen um die Heilkraft der Kräuter und Gewürze, und sie verzehren sie bei Bedarf ganz gezielt, zum Beispiel Bären und Hirsche. Gorillas fressen bei bestimmten Erkrankungen Baumrinden. Wer weiß, vielleicht tun das ja auch Vögel? Möglicherweise besitzt also die alte arabische Legende einen wahren Hintergrund.
Die Menschen, die in grauer Vorzeit lebten, beobachteten das Verhalten der Tiere, machten selbst die Probe aufs Exempel und taten dann mithilfe ihrer eigenen Talente, Inspirationen und Fähigkeiten zu heilen weitere Schritte. So ließen sie beispielsweise die Früchte des Pfefferstrauchs fermentieren, damit sich ihre Heil- und Würzkraft optimal entwickelte.
Bis heute ist die pharmazeutische Industrie überaus interessiert an Wissen, das auf diese Weise gewonnen wurde, zum Beispiel dem der Indianer in den Regenwäldern Südamerikas.
Und bis heute gibt es in unserer Kultur Männer und Frauen, die durch genaue Beobachtung und dank ihrer gut ausgebildeten Intuition einen solchen Zugang haben. Die bekannte Künstlerin, Autorin und "weise Frau" Luisa Francia schreibt zum Beispiel im Januar 2006 in ihrem Web-Tagebuch (www.salamandra.de): "Seit ich das erste Mal 1980 in Afrika war, habe ich mich gefragt: Was ist diese Faszination, diese unerklärliche Sehnsucht, die ich für Afrika verspüre? Auf meinen ersten Reisen war ich schwer krank, weil ich der Schulmedizin folgte. (Das Medikament) Lariam zerstörte fast meine Leber. Seit ich mit den ‚kleinen Leuten', den afrikanischen Bakterien und Viren, mit Artemisia, mit Zimtrindentee, mit Ingwer, mit Baobabfrucht, mit Chili kooperiere, verstehe ich sie viel besser." Und seitdem geht es ihr gut, wenn sie sich in Afrika aufhält. Mit Gewürzen kommt sie in ihr Gleichgewicht, was ihr mit Hämmern von der pharmazeutischen Industrie nicht gelingt.
Zu Anfang konnten sich die Menschen nur mit den Möglichkeiten helfen, die dort zur Verfügung standen, wo sie lebten oder wo sie während ihrer Wanderungen als Nomaden vorbeikamen. Aber ab irgendeiner Zeit begann der Handel. Mit Karawanen und Schiffen wurden unter großen Mühen und Gefahren Gewürze von dort, wo sie wuchsen - vor allen Dingen aus Indien und Ceylon beziehungsweise Sri Lanka -, in andere Länder und Erdteile transportiert. Als frühestes Zeugnis für einen solchen Fernhandel gelten die Wandreliefs des Totentempels von Deir el-Bahri, errichtet von der Pharaonenherrscherin Hatschepsut. Die Reliefs sind fast 3500 Jahre alt und zeigen Expeditionen mit Lasttieren, die vom Nildelta zum Roten Meer führten. Von dort aus wurden Schiffe benutzt, die in Richtung Süden zum legendären Land Punt segelten. Der Zweck dieser Reisen bestand vor allem im Handel mit Weihrauch und Myrrhe, getrockneten Baumharzen, die man zum Räuchern und zum Einbalsamieren der Toten benutzte.
Archäologen berichten, dass eine Mumie aus der zwanzigsten Dynastie (1200 bis 1085 vor Christus) selbst nach über dreitausend Jahren noch Gewürzduft verströmte (hierzu mehr im Gewürzporträt Zimt)!
Spezereien gehörten einst als Heil- und Konservierungsmittel sowie als Parfüms zu den teuersten Gebrauchsgütern. Manche wurden eins zu eins mit Gold aufgewogen, zum Beispiel Pfeffer und Safran, der aus den Samenfäden eines Krokus besteht. Andere Gewürze sind getrocknete Wurzeln, Knospen, Beeren und Stängel.
In seinem Buch Feine Gewürz- und Kräuterküche (siehe Literaturverzeichnis) liefert Alfons Schuhbeck folgende Definition für Kräuter und Gewürze: Kräuter sind die Blätter von frischen oder getrockneten Pflanzen. Gewürze sind Pflanzenteile wie Knospen, Früchte, Beeren, Wurzeln oder Rinden, Es gibt eine große Zahl von anderen Definitionen, gerade unter Fachleuten, aber Schuhbecks Formulierung ist im Prinzip richtig, sie ist handlich und passt für den Hausgebrauch ausgezeichnet. Während meiner Recherchen zu diesem Buch habe ich sie von den Spezialisten prüfen lassen, mit denen ich Gespräche führte. Sie waren damit einverstanden.
Um die tausend Jahre vor unserer .Zeitrechnung drangen die Phönizier vom heutigen Südlibanon gen Westen und Norden nach Südspanien und Südengland vor. So gelangten Pfeffer, Nelken und andere spices in diese Regionen. Im östlichen Mittelmeerraum wiederum wuchs eine Fülle von Gewürzen und Kräutern, die gegen die Kostbarkeiten aus dem Osten getauscht wurden, zum Beispiel Koriander, Fenchel, Anis, Mohn, Sesam und Dill. Diese köstlichen Zutaten fanden so ihren Weg nach Indien und Ceylon, wo sie die Köche inspirierten und die lokalen Kräutergärten bereicherten. Wie sich all dies im Individuellen, Privaten abspielte, können wir nur vermuten. Aber bestimmt würde es ein weiteres Geschichtenbuch aus Tausendundeiner Nacht füllen.
Im Hohelied Salomos, dem wohl erotischsten Text der Bibel, wird die Geliebte mit einem Gewürzgarten verglichen.
Als Moses die Juden aus ägyptischer Gefangenschaft führte, gelangte die Duftkultur der Ägypter mit dem Volk Israel nach Palästina. Daher sind im Alten Testament auch noch an anderen Stellen Hinweise auf Gewürze, sogar Rezepte zu finden, zum Beispiel für Salböle. Besonders die orthodoxe Kirche verwendet solche Öle bis heute, sie finden sich jedoch auch in der römisch-katholischen Kirche.
Die Römer begannen im 1. Jahrhundert nach Christus, nach Indien zu segeln. Sie liebten die Gewürze, die sie von dort mitbrachten, und verwendeten sie in der Küche, als Medizin sowie als Parfüm.
Zu uns nach Mitteleuropa gelangten die kostbaren exotischen Güter erst im frühen Mittelalter. Von da an teilten sich die Ägypter und die Venezianer das europäische Gewürzmonopol. Die Preise wurden mit der Zeit immer horrender. Im 15. Jahrhundert war Venedig durch den Handel mit Gewürzen derart reich geworden, dass es Neid erweckte. Die Pracht der Bauten dort, die wir noch heute bewundern können, ist direkt darauf zurückzuführen.
Also machten sich andere Seefahrernationen auf die Suche nach neuen Routen in den Osten. 1487 fand der Portugiese Bartolomeu Diaz einen Weg um das Kap der Guten Hoffnung im Süden; Afrikas zum Indischen Ozean. Andere sollten folgen. Nun konnten die Preise der Venezianer unterboten werden, und Lissabon begründete seinen eigenen Reichtum.
Im Jahr 1492 überquerte Christoph Kolumbus im Auftrag des spanischen Königshauses den Atlantischen Ozean in Richtung Westen, um einen kürzeren Seeweg nach Indien herauszufinden - dahin, wo der Pfeffer wächst. Jawohl, Kolumbus berühmte Reise fand der Gewürze wegen statt! Dabei entdeckte er Amerika, die "lndianer" und ganz neue, dort beheimatete Nahrungsmittel wie Tomaten, Mais, Kürbisse, Erdbeeren, Kartoffeln und Kakao. Bisher unbekannte Gewürze waren Vanille, Chili und Piment.
Später konkurrierten Spanier, Briten und Niederländer mit allen möglichen Methoden, nicht nur denen der feinen englischen Art, um die würzigen Waren aus Südamerika, der Karibik und der östlichen Welt.
Mitteleuropa war von Natur aus relativ arm an Gewürzen. Hier gab es nicht viel mehr als Senf, Wacholder und Kümmel. Vielleicht rührte der Hunger unserer Vorfahren nach den die Sinne betörenden Kostbarkeiten ja von diesem Mangel her. Zeitweise besaßen Gewürze zusätzlich einen hohen ideellen Wert. Ihre Seltenheit, ihre weit entfernte Herkunft und ihre hauptsächliche Verfügbarkeit für Reiche und Privilegierte machten sie zu Prestigeartikeln. Die Suche nach Gewürzen und Gold war eine der wichtigsten Triebkräfte der europäischen Expansion im 15. Jahrhundert. Vom 17. Jahrhundert an avancierten Kaffee, Tee und Zucker zu neuen Luxusgütern, die dann die Gewürze verdrängten.
Hier zu uns in den deutschsprachigen Raum gelangten Spezereien wie Kardamom, Ingwer oder Kurkuma in früheren Zeiten vor allem von Venedig aus über die Alpen, Auf beschwerliche Art wurden sie über alte römische Handelswege mit Lasttieren oder direkt auf dem Rücken der Händler durch die Berge getragen. Wenn die Ebene erreicht war, ging es auf der Isar mit Flößen weiter. Da, wo heute das Deutsche Museum steht, befand sich früher der Münchner Flußhafen, ein wichtiger Ort für den Gewürzhandel.
Ein weiteres Zentrum für Gewürze war Nürnberg, von wo aus die teuren Güter nicht nur weiterverteilt, sondern wo sie auch zum Bestandteil wunderbarer Rezepte wurden, zum Beispiel von Lebkuchen und Glühwein.
Weil Gewürze, wie gesagt, bis zum 17. Jahrhundert bei uns sehr teuer waren, wurden sie lediglich von gut Betuchten üppig verwendet. Ärmere Leute leisteten sie sich nur an Festtagen, als Heilmittel, wenn sie richtig krank waren, oder sie beschränkten sich für die alltägliche Küche auf Lokales; Senfkörner beziehungsweise Senf, Wacholderbeeren, Kümmel und natürlich heimische Kräuter wie Petersilie, Schnittlauch, Bohnenkraut...
Im Altertum und Mittelalter gab es keine klare Trennung zwischen "Gewürz" und "Heilmittel". Damals sah man Ernährung als tägliche Gesundheitsvorsorge an. Gebildete Menschen wählten Nahrungsmittel möglichst in Übereinstimmung mit der Elementen- und Viersäftelehre aus. Man stellte sich die Welt als Verbindung der vier Grundelemente Feuer, Wasser, Luft und Erde vor. Jedem dieser Elemente wurden bestimmte Qualitäten zugeschrieben. Feuer war heiß und trocken, Wasser kalt und feucht, Luft heiß und feucht, Erde kalt und trocken. Beim Choleriker überwogen die "feurigen" Qualitäten, weswegen er sich mit scharfen Gewürzen zurückhalten sollte. Phlegmatiker hatten vor allem "Wässriges", Sanguiniker "Luftiges" und Melancholiker "Erdiges". Sie profitierten von Schärfe. Die Wahl der Nahrungsmittel und der Gewürze sollte ausgleichen und eine Harmonie herstellen. In den Texten der heiligen Hildegard von Bingen kommt diese Herangehensweise zum Ausdruck (siehe Literaturverzeichnis)
Die enge Verbindung zwischen Arznei und Gewürz zeigt sich auch dadurch, dass Gewürze und Zucker, der ebenfalls als Gewürz galt, bis ins Mittelalter hinein in Apotheken verkauft wurden. In der Forschung ist noch nicht geklärt, ob das Apothekergewerbe ursprünglich mit dem der Gewürzkrämer identisch gewesen ist, ob es sich aus diesem heraus entwickelte oder ob man von Anfang an zwischen beiden unterschieden hat.
Am französischen Königshof gab es einen épicier du roi oder de la reine, einen Gewürzfachmann des Königs oder der Königin. Das war ein Offizier, der sich ausschließlich um die Gewürze und Konfitüren (!) kümmerte, die in der Königsfamilie verwandt und verzehrt wurden. Unter épices de chambre, Gewürzen des Schlafzimmers, verstand man nicht etwa erotische Wäsche oder etwas in der Richtung, sondern schlicht und einfach Betthupferl.
Heute gehören Gewürze überall ganz selbstverständlich dazu. Dabei ist Pfeffer das Lieblingsgewürz der Deutschen. Auch weltweit steht er an der Spitze, gefolgt von Capsicum-Gewürzen, also Paprika, Chili und Cayennepfeffer. Safran, Vanille und Kardamom bleiben die teuersten.
90 Prozent des internationalen Gewürzhandels vollziehen sich mit ganzen, einzelnen Gewürzen. Currypulver - indische Bezeichnung: masala - ist die einzige Mischung, die international ins Gewicht fällt.
Mehr als 80 Prozent der Spezereien stammen aus Entwicklungsländern, wo die Produktion und der Export einen wichtigen Teil der Wirtschaft darstellen. Darauf zu achten, dass das, was wir kaufen, aufgrund der Prinzipien des fairen Handels zu uns gekommen ist, kann also auf keinen Fall schaden.
Nordamerika hat als Gewürzlieferant kaum Bedeutung. Australien liefert lediglich Ingwer in nennenswertem Ausmaß. Es fuhren jedoch beide Kontinente wegen ihrer multikulturellen Bevölkerung große Mengen und eine reiche Vielfalt an Gewürzen ein. In Städten wie San Francisco oder Sydney bringen heute kenntnisreiche und kreative Kochkünstler die köstlichsten kulinarischen Schöpfungen auf den Tisch - nie Dagewesenes, das Nord, Süd, Ost und West miteinander vermählt und das mithilfe von "natürlichen Geschmacksverstärkern" aus allen Teilen der Erde die Sinne weckt, schärft und jubilieren lässt.
Später im Buch, in einigen der Gewürzkapiteln, werde ich, Ihnen Rezepte einer solchen Gourmetköchin aus San Francisco anbieten, die ebenso verlockend wie dem Wohlbefinden zuträglich sind.
Und noch etwas Interessantes aus einer ganz anderen Richtung: 1985 war das Geburtsjahr des Männerdufts "Sagamore". "Orientalisch-würzig" lautet die offizielle Einstufung. Dahinter verbergen sich Nuancen von Koriander, Kardamom, Zimt und Vanille. Das außerordentlich erfolgreiche Damenparfum "Miracle" ("Wunder") hat eine Pfeffernote. Und im ganz neuen Duft "Mille et une Roses" ("Tausendundeine Rose"), ebenfalls für Damen gedacht, werden verschiedene Rosenarten mit Vanille kombiniert.
Gewürze sind also auch auf dieser Genussebene bis heute ein wesentlicher Faktor.
Textauszug aus
Irene Dalichow: Die Gewürzapotheke
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